Die süßen kurznasigen kleinen Hunderassen wie Chihuahuas, Pekinesen, Toy Pudel, Zwergspitze und Malteser lösen durch ihr Kindchenschema bei uns oft Beschützerinstinkte aus. Leider kann mit diesem niedlichen Aussehen auch einiges an angeborenen Problemen verbunden sein.
So auch bei Charly, dem zweijährigem Chihuahuarüden, der uns mit ausgeprägten neurologischen Symptomen vorgestellt wurde. Er war vor 2 Tagen gegen den Couchtisch gestürzt und verhielt sich seitdem sehr auffällig. Charly lief ziellos umher, stieß an Gegenständen an und wirkte verwirrt. Bei Gassigehen fiel den Besitzern ein Rechtsdrang auf und beim Schütteln fiel er immer wieder um. Zwischenzeitlich war er apathisch und ganz ungewöhnlich ruhig. Der Zustand verschlimmerte sich sukzessive und nun wurde der Chihuahuarüde bei uns in der Spezialistenpraxis vorgestellt.
Auf Nachfrage hin war Charly immer schon etwas tollpatschig gewesen und wollte sich nie gerne am Kopf anfassen lassen. Den Besitzerin waren keine Besonderheiten während seiner Entwicklung aufgefallen.
Bei der Untersuchung fielen multiple Veränderungen auf. Neben einem gedämpften Bewußtsein schien er tatsächlich blind zu sein und zeigte eine Kopfschiefhaltung. Im speziellen neurologischen Untersuchungsgang wurden zahlreiche veränderte Reflexe und eine verminderte Ansprechbarkeit festgestellt. Es fiel auf daß er nach außen-unten schielte. Der sog. Drohreflex (wird normalerweise beantwortet mit Blinzeln) und der Ohrreflex (wird normalerweise beantwortet mit Kopfschütteln) waren linksseitig negativ.
Da bei derartigen neurologischen Symptome eine ganze Reihe an unterschiedlichen Ursachen in Frage kommen, müssen stets als erstes sogenannte metabolische Ursachen über Blutuntersuchungen ausgeschlossen werden. Dies bedeutet, dass sowohl alle Organwerte (Leber, Niere, Blutzucker, Eiweiße) inklusive der Elektrolyte als auch die weißen und roten Blutkörperchen und Blutplättchen umgehend bestimmt werden müssen. Charly zeigte keine Abnormalitäten im großen Blutbild, somit war eine echte Erkrankung des Gehirns bewiesen.
Die Symptome, die Charly zeigte, wiesen auf eine Druckerhöhung im Gehirn hin.
Aufgrund der Rasse mit der typischen Schädelform verbunden mit einer offenen Fontanelle (mittig über ca 1 cm offene knöcherne Schädeldecke an der Stirn, nur von Haut, Unterhaut und Gehirnhäuten bedeckt) bestand der Verdacht eines Hydrocephalus (sog. Wasserkopf). Diese Vermutung erhärtete sich durch eine Ultraschalluntersuchung von Teilen des Gehirns durch die offene Fontanelle hindurch. Es fiel auf, daß die Gehirnventrikel (mit Hirnwasser gefüllte Hohlräume) deutlich größer als bei gesunden Tieren waren. Die Ventrikelgröße nahm ca 40% der Gesamthirngröße ein und die Gorßhirnhemisphären stellten sich irregulär dar.
Der Hydrocephalus ist eine oft angeborene Erkrankung des Gehirns, bei dem durch zuviel Ansammlung von Gehirnwasser in den erweiterten Gehirnventrikeln ein übermässiger Druck im Gehirn entsteht. Leider kommt es infolge der Zuchtmerkmale kurze Nase und gewölbter Schädel (typisches Kindchenschema) in einigen Fällen zur Ausbildung eines solchen Hydrocephalus. Passiert nun ein eher kleines Trauma wie bei Charly (kleiner Sturz gegen Couchtisch), so kann dies ausgeprägte Folgen haben, da bereits eine geringe Schwellung des Gehirns nach einem Sturz das Gleichgewicht zwischen hohem Gehirndruck und großen Ventrikeln stören kann. Der Druck steigt weiter an und es kommt zu dramatischen neurologischen Symptomen.
Charly musste sofort mit gehirndrucksenkenden Medikamenten behandelt werden um einer Verschlechterung der Symptome vorzubeugen. Sofort erhielt er Glukokortikoide und Omeprazol. Letztes Medikament, das bekanntermaßen bei Gastritis eingesetzt wird, senkt ebenfalls den Hirndruck da es die Liquorproduktion (Produktion von Gehirnwasser) senkt. Zusammen mit den Glukokortikoiden kam es bei unserem kleinen Patienten rasch zur Besserung. Bereits kurz nach Beginn der Medikation war er wieder merklich munterer und schon bald wieder der aufgeweckte kleine Charly.
Da es wichtig ist, festzustellen, in welchem Ausmaß der Wasserkopf besteht, und ob weitere Veränderungen im Gehirn bestehen, wurde bei Charly nach einigen Tagen nach Besserung der Symptome eine Computertomographie in einer kurzen Narkose durchgeführt. Es war im Bereich der Möglichkeiten dass die kleine Fellnase zusätzlich eine Gehirnblutung, einen Infarkt, eine sog. Syringomyelie oder eine Entzündung haben könnte. Charly hat Glück gehabt, es wurde keine weitere Erkrankung im Gehirn gefunden, der Hydrocephalus wurde bestätigt und er erhält nun dauerhaft Omeprazol. Zudem gehört er zu den betroffenen kleinen Hunden, die so gut auf die medikamentöse Behandlung ansprechen, dass keine Operation nötig ist. In einer sehr aufwändigen Operation kann eine Abflussmöglichkeit des Liquors in den Bauchraum über ein kleines kompliziertes Schlauchsystem geschaffen werden. In manchen Fällen können diese Patienten nur auf diese Art und Weise längerfristig überleben.
Aber für unseren kleinen Charly sieht es gut aus, er ist mittlerweile wieder ganz „der Alte“, frech und verspielt. Fehlt nur, daß man ihm nicht sagen kann, er möge sich bitte nicht wieder an dem Couchtisch anstoßen !